Liebe Leserin, lieber Leser,
fragt man Menschen, welche Vorstellungen sie von der Gestaltung ihrer Reise haben, lautet die Antwort nicht selten: auf mich persönlich zugeschnitten, ganz individuell! Ähnlich verhält es sich auch mit vielen anderen Dingen des täglichen Lebens, die wir uns „maßgeschneidert“ wünschen. Und dennoch wählen viele oft das Pauschalpaket. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Preis ist klar und man weiß, welchen Inhalt man dafür bekommt.
In puncto Ernährung plädiert eine deutliche Mehrheit für naturbelassene, gesunde und ökologisch nachhaltig produzierte Lebensmittel. Auch beim Restaurantbesuch. Die Gerichte sollen frisch zubereitet, ja „hausgemacht“ sein.
Andererseits erleben wir seit etlichen Jahren weltweit den Siegeszug der „Systemgastronomie“, also das glatte Gegenteil. Darunter versteht man nicht nur die allseits bekannten Fastfood-, sondern auch überregional tätige Restaurantketten, die überall die gleiche Speisekarte aufweisen. In Deutschland gab es so etwas schon vor Jahrzehnten: „Nordsee“ war einer der ersten Systemgastronomiebetriebe überhaupt, der „Wienerwald“ erlebte einen jahrelangen Boom. Eine Katastrophe müssen solche Standardisierungen nicht unbedingt sein, denn der Kunde kann überall das gleiche erwarten. Vielleicht etwas langweilig, aber eben auch ohne böse Überraschungen.
Seit einigen Jahren hat die Vereinheitlichung zunehmend in herkömmliche Restaurants Einzug gehalten, auch in solche der gehobenen Gastronomie. Hersteller wie „Knorr professional“ oder „Unilever food solutions“ bieten die unterschiedlichsten Zutaten, z. B. für Suppen und Soßen aller Art, als Convenience-Produkte an. Mitunter steht auf der Packung „ohne deklarationspflichtige Zusatzstoffe“ gemäß des (lückenhaften) Lebensmittelinformationsgesetzes. Die Firma Avika offeriert Dutzende von Produkten aus Kartoffeln – vom Gratin bis zur Herzoginkartoffel. In der Restaurantküche müssen diese nur noch erhitzt werden. Dafür benötigt man keinen Koch, Hilfspersonal reicht. Die in Österreich, Ungarn, Slowenien und Rumänien produzierende Firma Gierlinger stellt „Undercover“-Schnitzel her – alle genau mit Schublehre vermessen, automatisch mit Vollei beschichtet, damit die Panade Blasen wirft – wie „hausgemacht“ eben … Kalkulierter Großhandelsverkaufspreis 1,20 € pro Stück. Der Begriff „hausgemacht“ ist übrigens rechtlich nicht genau definiert, sodass er großzügig ausgelegt werden kann. Schließlich bietet „Hollyfood“ vorportioniertes Fleisch, frisches Gemüse und sonstige Zutaten an. Der Arbeitsgang des Gemüsezurechtschneidens und Sortierens wird auf diese Weise aus dem Restaurant in einen vorgeschalteten Großbetrieb ausgegliedert.
Alles schlimm und entsetzlich? Sagen wir mal so: Man bekommt – vor allem im Hinblick auf die sich ausbreitenden Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten – ein sehr ungutes Gefühl. Letztendlich ist aber auch hier die Frage, was man daraus macht. Und da kann jeder Einzelne selbst bestimmen. Deutlich höhere Preise im Restaurant zahlen, weil garantiert alles „hausgemacht“ ist – im ursprünglichen Wortsinn? Das würde vermutlich dann doch nur eine Minderheit akzeptieren. Es ist wie überall: ein Kompromiss muss her. Wie der aussehen könnte? Soweit wie möglich eine vegetarisch betonte Vollwert- bzw. mediterrane Kost aus regionaler Versorgung. Hier und da – z. B. auf Dienstreise – wird man aber auch mal in die Convenience-Kartoffel beißen müssen. Im Grund verhält es sich ähnlich wie mit der WLAN-Dauerberieselung allerorts: Man kann ihr nicht komplett entgehen, sollte sich ihr aber freiwillig nicht ständig aussetzen.
Dr. med. Rainer Matejka