Wir Menschen können nicht einfach so leben, sondern hinterfragen alles: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was sollen wir? Wir wollen das Leben verstehen. Wir analysieren, deuten und zerlegen es und zerstören es dadurch oft.
Jedes Wesen hat seine eigene Deutung, was Leben ist, wie die folgende Geschichte eines unbekannten Verfassers zeigt:
Eines Tages beschloss das Leben, eine Umfrage zu machen. Es strebte nach Antworten auf eine einzige Frage: „Was ist das Leben?“ Die Kuh antwortete: „Das Leben ist grün.“ Die Eule antwortete: „Das Leben ist Nacht.“ Die Lerche antwortete: „Das Leben ist ein blauer Himmel.“ Der Schmetterling antwortete: „Das Leben ist Veränderung.“ Die Sonne antwortete: „Das Leben ist Energie.“ Das Wasser antwortete: „Das Leben ist Fließen.“ Die Steine antworteten: „Das Leben ist fest und beharrlich.“ Der Friedhofswächter antwortete: „Das Leben ist der Anfang vom Ende.“ Und so ging es immer weiter, und das Leben sammelte unzählige Antworten, von denen keine der anderen glich. Am Ende kamen alle Befragten zusammen und stellten nun dem Leben die Frage: „Was bist du nun?“ Da entgegnete das Leben: „All das zusammen und noch viel mehr.“
Nur weil man lebt, ist man noch kein Experte für gelingendes Leben – zumindest nicht als Mensch, der nicht mehr auf seine Instinkte vertrauen, sondern frei wählen kann, und deshalb seine Wahl und seine Art zu leben selbst verantworten muss – letztendlich vor allem vor sich selbst. Die Kehrseite der menschlichen Freiheit ist die Verantwortung.
Jetzt, wo uns weder Kirche, Staat noch Eltern sagen, was wir tun sollen, wissen viele Menschen nicht mehr, was sie wollen. Und sie haben Angst, Fehler zu machen, Angst schuldig zu werden. Deshalb nehmen Angsterkrankungen und Angstsymptome heutzutage zu.
Angst vor Freiheit und Verantwortung
Viele Menschen flüchten vor ihrer Autonomie auch in neue Abhängigkeiten, Süchte, Konsumhaltungen, Überanpassung und Orientierung an Normen. Sie suchen das schnelle Glück im Außen und wollen das, wonach alle streben. Sie verirren sich in den Angeboten dieser Welt, die ihnen vermeintlich Glück schuldet, und taumeln von einer Enttäuschung in die nächste. Zwar stirbt die Hoffnung zuletzt, aber die Verzweiflung lauert unvermeidlich.
Denn das schelle Glückserleben zerstört die menschliche Urmotivation nach Sinnerfüllung. Sinn ist wichtiger als Glück. Und die Suche nach Sinnmöglichkeiten stärkt und macht zufrieden, widerstands- und auch leidensfähig. Optimisten haben es bei Niederlagen leichter im Leben, weil sie darauf vertrauen, dass sich die Dinge wieder bessern und dass es noch andere zufriedenstellende Lebensbereiche gibt. Sie wissen, dass man selbst etwas dazu beitragen kann, dass es bald wieder „aufwärts“ geht. Pessimisten betreiben dagegen permanent Enttäuschungsprophylaxe. Sie erkaufen sich dies allerdings mit einer dauerhaften Dämpfung positiver Gefühle. Und solche Menschen sind leider weniger beliebt. Man wird nicht so leicht warm mit ihnen. Der amerikanische Psychologe Martin Seligman beschreibt dies sehr anschaulich in seinem Buch: „Pessimisten küsst man nicht.“ Dazu fällt mir folgende Geschichte ein (von einem unbekannten Verfasser):
Es waren einmal Zwillinge, die glichen sich äußerlich wie ein Ei dem anderen. Ansonsten waren sie jedoch vollkommen verschieden. Wenn es dem einen zu heiß war, war es dem anderen zu kalt. Wenn der eine sagte: „Die Musik ist zu laut“, wollte der andere die Musik noch lauter. Und der auffälligste Unterschied bestand darin, dass der eine von ihnen zu jeder Stunde optimistisch und zuversichtlich war, während sich der andere immer schlecht gelaunt und pessimistisch gab.
Eines Tages wagte der Vater der Zwillinge ein Experiment: Am Vorabend ihres Geburtstages wartete er, bis seine Söhne eingeschlafen waren, und machte sich dann heimlich ans Werk. Das Zimmer des Pessimisten füllte er bis unter die Decke voll mit den schönsten Geschenken: Spielzeug, Sport- und technische Geräte und vieles mehr. Dem Optimisten aber legte er nur einen stinkenden Haufen Pferdeäpfel ins Zimmer – sonst nichts. Nun war er gespannt, was passieren würde.
Am nächsten Morgen schaute der Vater zuerst ins Zimmer des Pessimisten. Er fand ihn laut klagend am Boden sitzen, inmitten der ganzen wundervollen Geschenke. „Warum weinst du denn?“, fragte der Vater.
Er bekam folgende Antwort: „Erstens, weil meine Freunde neidisch sein werden, zweitens, weil ich die ganzen Gebrauchsanleitungen lesen muss, bevor ich mit den Geschenken etwas anfangen kann, drittens, weil ich für die meisten dieser Spielsachen ständig neue Batterien brauchen werde und viertens, weil im Lauf der Zeit bestimmt ein paar von den Spielsachen kaputtgehen werden!“
Darauf ging der Vater in das Zimmer des optimistischen Zwillings. Dieser hüpfte vor Freude um die Pferdeäpfel herum. „Warum bist du denn so fröhlich?“ fragte der Vater. „Ganz einfach“, antwortete dieser, „weil irgendwo unter dem ganzen Mist doch ein Pony versteckt sein muss!“
Man kann, wenn man das möchte, an seiner Lebenseinstellung, der inneren Haltung und den eingefahrenen Denkmustern arbeiten, obwohl aus einem eingefleischten introvertierten Pessimisten nur schwerlich eine extrovertierte Stimmungskanone und ein unverbesserlicher Optimist werden wird. Hier begrenzen Gene und Temperament den Spielraum, den wir aber dennoch haben. Zu 40 % entscheiden unser Denken, unsere bewusste Aufmerksamkeitsfokussierung und unser Verhalten über das eigene Glück. Deshalb stellt sich die Frage: Was machen Sie mit Ihren 40 %? Übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Spielräume?
Wir bestimmen zwar nicht die ausgeteilten Karten des Lebens. Aber wie wir mit den uns zugeteilten Karten spielen, liegt in unserer Hand. Wenn wir unsere Schwächen kennen, können wir aus ihnen eine Stärke machen, anstatt uns auf unsere Defizite zu reduzieren. Wir können uns mehr auf das Gelungene und die eigenen Fähigkeiten besinnen. Dies zeigt die Geschichte im Kasten unten (ebenfalls von einem mir unbekannten Verfasser).
Sinnvolle Antworten auf Lebensfragen
Wir Menschen haben die unverbrüchliche Freiheit, zu allen Dingen des Lebens Stellung zu nehmen, jeder Situation eine sinnvolle Antwort abzuringen – durch einen Einstellungswandel, eine schöpferische Tätigkeit, durch unseren Einsatz für ein Werk oder einen anderen Menschen. Dabei sollten wir unser Herz und unseren Geist für all die vielfältigen Sinneserfahrungen, Empfindungen und Gefühle offen halten. Dies alles zusammen macht letztlich das Glück der Fülle aus.
Gehen Sie auf die Suche nach dem, was lhrem Leben eine Bedeutung verleiht, und nach einer sinnvollen Antwort auf die Fragen des Lebens. Nicht das Leben, sondern Sie selbst sind der vom Leben Befragte.
Ich persönlich halte mich an die Gedanken von George Bernhard Shaw: „The reasonable man adapts himself to the world; the unreasonable one persists in trying to adapt the world to himself. Therefore, all progress depends on the unreasonable man.” (Der vernünftige Mensch passt sich an die Welt an, der Unvernünftige versucht, die Welt an sich selbst anzupassen. Aller Fortschritt hängt daher von dem Unvernünftigen ab.)
Dies ist die wahre Freude im Leben, gebraucht zu werden für einen Zweck, den Du selbst als einen machtvollen erkennst.
Eine Kraft der Natur zu sein, anstelle eines fiebrigen, selbstsüchtigen, kleinen Bündels von Unpässlichkeiten und Beschwerden, sich beklagend, dass die Welt sich einfach nicht dem Zweck verschrieben hat, Dich glücklich zu machen.
Ich bin der Meinung, dass mein Leben der gesamten Menschheit gehört und dass es mein Privileg ist, solange ich lebe,
für sie zu tun, was immer ich kann.
Ich will mich vollständig verausgabt haben, wenn ich sterbe, denn je mehr ich mich eingebe, desto lebendiger bin ich.
Ich freue mich des Lebens um seiner selbst willen.
Das Leben ist keine spärliche Flamme für mich.
Es ist eine Art leuchtende Fackel, die ich für diesen Moment ergriffen habe, und ich will sie so hell wie möglich brennen lassen, bis ich sie an zukünftige Generationen weiterreiche.
Weiterführende Hörbücher
W.-J. Maurer: Psychosomatik Scheidegg Nr. 1, 8, 14, 17, 18, 19, 23, 24; www.clearsound.de