Die Welt, die wir wahrnehmen, ist ein Symbol von Unsicherheit. Alles verändert sich ständig und in unserem Erleben immer schneller. Nichts bleibt, wie es ist. Nichts ist selbstverständlich. Dadurch fühlen sich viele Menschen in ihrer Grundsicherheit bedroht. Die daraus resultierende Angst lässt uns verzweifelt nach emotionaler Verlässlichkeit, Beständigkeit und Unterstützung suchen.
Beziehungen im Allgemeinen und Paarbeziehungen im Besonderen sind der Ort, wo wir eine Zuflucht vor der Bedrohung durch die Welt und unsere Angst ersehnen. Doch die Qualität unserer Beziehungsgestaltung kann unsere seelisch-körperliche Stabilität und Gesundheit gleichsam einerseits festigen wie andererseits auch schwächen.
Was Paarbeziehungen langfristig lebbar und attraktiv macht und stabil hält, zeigt sich darin, ob unsere wesentlichen menschlichen Grundbedürfnisse nach sicherer Bindung und Wertschätzung befriedigt werden. Erleben wir unsere emotionale Sicherheit bedroht, wird unser Bindungssystem aktiviert mit dem Aufkochen all der aus unserer frühen Kindheit stammenden Bindungsemotionen.
Wir erleben uns dann unsicher, ängstlich, verletzlich und wehren diese weichen Gefühle meist ab durch kraftvollere intensive Gefühle von Ärger, Wut, Zorn bis hin zu Hass. Dann verfangen wir uns auf der Oberfläche unserer Beziehungsbühne mit dem Gegenüber in emotionalen Angriffen, verbalen Beschuldigungen und vernichtenden generalisierten Urteilen bis zu Entwertungen – oder wir ziehen uns zurück, schmollen, grübeln, zweifeln und mauern, je nach der Prägung unserer frühen Bindungsmuster.
Dabei sind im Hintergrund so gut wie immer beide „inneren Kinder“ der erwachsen wirkenden Akteure verzweifelt. Während es an der Oberfläche oft hoch hergeht, fragen sich im Untergrund unserer Seele unsere verletzlichsten Anteile:
Bei Aktivierung des Bindungssystems (Regulierung von Halt und emotionaler verlässlicher Nähe): Bin ich hier noch sicher? Bin ich erwünscht? Bin ich für mein Gegenüber wichtig? Welchen Wert habe ich in den Augen des anderen? Erfahre ich emotionale Unterstützung und verlässlichen Rückhalt?
Bei Aktivierung des Anerkennungssystems (Regulierung von Achtung und Selbstachtung): Erfahre ich die ersehnte Anerkennung für mein Wesen und mein Sosein, oder erlebe ich Desinteresse, mangelnde Wertschätzung oder sogar Entwertung?
Wenn entweder Bindung oder Wertschätzung als bedroht erlebt wird, fehlt die emotionale Sicherheit. Es folgen Anklagen, Vorwürfe als verzerrter Ausdruck von schmerzlichem Vermissen von Halt und emotionaler Nähe, wodurch das Gegenüber sich tragischerweise meist nur noch mehr aus der Beziehung zurückzieht und weiter flieht, weil es sich nicht wertgeschätzt fühlt und mangelnde Anerkennung erlebt. So verfangen sich die meisten Paare in einem destruktiven Teufelskreislauf, oft ohne zu wissen, worum es bei den vielen und oft trivialen Nebenkriegsschauplätzen in der Tiefe eigentlich wirklich geht.
Das Herausarbeiten, welche Verletzung der beiden Grundbedürfnisse bei den Konfliktbeteiligten im Vordergrund steht, ist in solchen Entzweiungen meiner Erfahrung nach der hilfreichste Therapieansatz. Aus diesem gemeinsamen Verständnis heraus können dann stimmige Ziele und konkrete Schritte zum Wiederherstellen des Erlebens emotionaler Sicherheit folgen.
Der Wiederaufbau der Tragfähigkeit der Beziehungen zu verlässlichen anderen Menschen und die Regulierung von Achtung und Selbstachtung als Ausdruck der Beziehung zu sich selbst sind die wesentlichen beiden Stellschrauben für Gesundheit und ein sinnerfüllendes Leben in Frieden und Freiheit in einer sich wandelnden unsicheren und ängstigenden Welt.
Autor
Dr. med. Wolf-Jürgen Maurer, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Coach, Lehr- und Paartherapeut, Supervisor, Vortragsredner und Autor Scheidegg/Allgäu. Unter www.anima-mea.org erscheint seine psychosomatische Hörbuchreihe. In der Rubrik „Seele in der Krise, Körper in Not“ beantwortet er Fragen von Naturarzt-Leserinnen und -Lesern.