Liebe Leserin, lieber Leser,
auf meiner persönlichen Liste der „Unwichtigsten Dinge der Welt“ rangieren Newsletter ganz weit oben. Überall wird man mit diesen brandneuen elektronischen Nachrichten zwangsversorgt, die manchmal mit einem kleinen roten Ausrufezeichen neben dem Betreff versehen sind und zu rufen scheinen: Lies mich! Ich bin wichtig! Doch seien wir ehrlich: Auf mindestens 98 Prozent aller existierenden Newsletter könnte man wunderbar verzichten. Die meisten von ihnen sind nicht mehr als eine Ansammlung sinnbefreiter Worthülsen und haben eine „News“ nicht mal von Weitem gesehen. Letztendlich ein billiges Marketing-Instrument, mit dem Unternehmen signalisieren: Uns gibt es auch noch …
Der heutige Mensch ist einer dauernden Informations- und Reizüberflutung ausgesetzt. Welche der tausenden Botschaften, die täglich auf uns einströmen, sind eigentlich wichtig? Bedeutsam für den Einzelnen und/oder die Gesellschaft? Die Auslese und das Unterscheiden von all dem unwichtigen Zeugs, dem Nachrichtenmüll fallen nicht leicht. Manch einer hat da schon die „Waffen gestreckt“ und ist resigniert zum alles hortenden Informationsmessie geworden. Wichtiges erreicht uns oft nur per Zufall. Entweder werden Nachrichten von wirklicher Priorität nicht zielgerichtet adressiert, oder sie versinken in der Bleiwüste eines nicht enden wollenden Fließtextes irgendeines Schreibens. Hinterher sind dann alle überrascht, weil man die Essenz nicht wahrgenommen hat, nicht wahrnehmen konnte. „Ach, das wussten Sie gar nicht?“, heißt es dann, „Das stand doch in dem Schreiben vom …“ Auch in der Medizin hat der Informationswahnsinn Oberhand gewonnen. Arzt und Patient sind mit Unmengen von Befunden, Ergebnissen und Diagnosen konfrontiert und müssen lernen zu erkennen, was für die momentane Situation eigentlich von Bedeutung ist. Im Arztbrief einer orthopädischen Reha-Klinik berichtet ein Kollege von einem komplikationslos an der Hüfte operierten Patienten. Beim Lesen erfahre ich, dass bei Aufnahme des betroffenen Herrn die Pupillen seitengleich und gleich groß (isokor) waren, dass die Austrittspunkte des Trigeminusnervs im Gesicht nicht druckempfindlich reagierten, und der Rachenring eine leichte Rötung aufwies. Pardon, was bitteschön hat das mit der Hüfte zu tun? Richtig! Gar nichts.
Noch schlimmer verhält es sich oft mit röntgenologischen Befunden der Wirbelsäule. Die Rede ist dann von „osteochondrotischen“ Veränderungen, diskreter Bandscheibenvorwölbung und dergleichen mehr. Bei älteren Menschen in meinen Augen: Normvarianten, die oftmals nur indirekt mit dem Beschwerdebild zu tun haben. Warum dann ein solcher Sermon? Ein weiteres Beispiel sind die oft ausufernden Laboruntersuchungen etwa in Bereichen der Allergien oder Immunologie – ohne jede brauchbare Handlungskonsequenz. Trotzdem fixiert sich mancher Patient deutlich mehr auf Röntgen- und Laborergebnisse als den Interpretationen seines Arztes zu folgen. Sinnvoll hingegen ist die Überlegung, ob Befund und Befinden miteinander in Einklang stehen.
Was rettet uns aus der unnützen Datenflut? Im wahren Leben: Auf Newsletter, Apps & Co. verzichten oder gut selektieren. In der Medizin: Zuerst dem Patienten zuhören, eine eigene Einschätzung durchführen und erst dann bereits vorhandene Befunde sichten und nach ihrer Bedeutung ordnen.
Zuviel nutzlose Information verstellt den Blick und macht krank. In der Medizin kann sie sogar lebensgefährlich sein. In diesem Sinne wünscht einen klaren Blick auch 2017
Ihr Dr. med. Rainer Matejka