Die Frage nach dem „guten Leben“ kennt viele Antworten. Gesundheit gehört immer dazu. Gesundheit ist allerdings mehr als die Abwesenheit von Krankheiten, ebenso wie Gesundheitsvorsorge nicht das Gleiche wie Vermeidung von Krankheiten ist. Dazu gehört auch, dem individuellen inneren Rhythmus Beachtung zu schenken.
Gesundheit nennen wir einen Zustand körperlichen und psychischen Wohlbefindens. Dazu zählen unter anderem Zufriedenheit, Wohlergehen, Lebensfreude und Lebensgenuss. Maßgeblich verantwortlich für deren Qualität sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die persönliche Lebensführung. Der „zeit-gemäße“ Umgang mit der Zeit spielt dabei eine wichtige, wenn auch gerne vernachlässigte Rolle.
Es gibt Zeiten und Zeitordnungen, die dem Menschen guttun, und andere, die Körper, Geist und Psyche schaden. Insbesondere sind die Qualitäten des Wohlbefindens – was Goethe das „gesteigerte Wohlseyn“ nannte – abhängig davon, wie weit die dem Menschen mitgegebene Zeitnatur, das eigene Zeitverhalten und die zeitlichen Anforderungen der sozialen, gesellschaftlichen und natürlichen Um- und Mitwelt miteinander harmonieren. Wo das nicht der Fall ist, drohen gesundheitliche Probleme.
Dass die Zeitgeber der „inneren Uhr“ auch das Wohlbefinden beeinflussen, ist eine relativ junge Erkenntnis. Die Diskrepanz zwischen den von der Lebenswelt ausgehenden Zeitsignalen und Zeitanforderungen einerseits und Zeitmustern des eigenen Körpers andererseits führen zu Störungen, die man „Zeitkrankheiten“ nennen kann. Diese wurden oftmals bei Schicht-, Nachtarbeitern und Vielfliegern diagnostiziert – alles Personengruppen, bei denen die sozialen Taktgeber und die Zeitgeber der inneren „Uhr“ nicht übereinstimmen. Bei ihnen kommt es zu einer Art Jetlag, der wegen des Schlafmangels häufig zu chronischer Müdigkeit und in der Folge dann zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit führt. Zwar können diese Unstimmigkeiten durch Gewöhnung und Anpassung zum Teil ausbalanciert werden, das jedoch nur in begrenztem Umfang. Um die Risiken für Leib, Leben und Psyche möglichst niedrig zu halten, muss man die Grenzen der Belastung und die Limits der zeitlichen Zumutungen kennen und beachten.
Zum „guten“ Leben gehört somit eine gesundheitsbewusste, das heißt „zeit-gemäße“ Gestaltung des Alltags. Die das individuelle, biologische Zeitprogramm der Menschen akzeptiert und respektiert und es vor Überstrapazierung bewahrt. Jeder Mensch sollte im Einklang mit seinen angeborenen inneren Rhythmen leben. Wer das nicht tut, geht hohe Gesundheits- und Leistungsrisiken ein. Das Ignorieren der biologischen Zeitsignale und Zeitvorgaben verlangt einen erhöhten Energie- und Kraftaufwand. Erheblich schonender, ökonomischer und dem Wohlbefinden dienlicher ist es, mit und nicht gegen die biologischen Körperrhythmen zu leben, zu arbeiten und zu lernen.
Von zentraler Bedeutung, speziell was die Stress- und Burn-out-Prophylaxe betrifft, sind dabei die Anforderungen an das Tempo bei der Arbeit, die Lage der Arbeit (Tag/Nacht), die Pausen- und Erholungskultur und die Wertschätzung der kraftgebenden und motivierenden Ressourcenzeiten.
Die Fragen der Gesundheit und Gesundheitsvorsorge sind nicht nur an Einzelpersonen zu richten. Da sie auch von der gesellschaftlichen, technischen und sozialen Umwelt und den von dort ausgehenden zeitlichen Zumutungen abhängig sind, sind die einschlägigen Zeitfragen immer auch an die Politik zu stellen.
So ist es beispielsweise nicht unerheblich für die Gesundheit der Bürger und Bürgerinnen, wie die gesetzlichen und tarifvertraglichen Rahmenbedingungen für die Zeitordnung der Lebens- und Arbeitswelt ausgestaltet sind. Eine Gesellschaft, in der das arbeitsfreie Wochenende – zumindest der Sonntag – gesetzlich verankert und lebendige Realität ist, strapaziert die Gesundheit ihrer Mitglieder erheblich weniger als eine Gesellschaft, in der das nicht der Fall ist. Auch entstresst eine ordnungspolitische Einschränkung der Nachtarbeit die sozialen Gemeinschaften, und sie verringert damit die Gesundheitsrisiken und die Gesundheitskosten entscheidend. Ähnliches gilt für die zeitliche Begrenzung der elektronischen Erreichbarkeit und des elektronischen Zugriffs durch Vorgesetzte außerhalb der Arbeitszeit.
Es sind unter anderem die steigenden Kosten im Gesundheitsbereich – die von Krankheiten verursachten Kosten –, die in der jüngsten Zeit die Fragen der Gesundheitsprävention ins Zentrum gerückt haben. Zeitfragen – mit den Themen Zeitorganisation, -verwendung, -belastung – rücken dabei in den Mittelpunkt und bekommen starkes Gewicht. Der „zeit-gemäße“ Umgang mit Körper und Psyche wird hierdurch immer mehr zum Schlüssel für die Absicherung des menschlichen Wohlbefindens, für die Wahrung körperlicher Gesundheit und psychischer Stabilität.